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BGH zum „ewigen“ Widerspruchsrecht nach § 5a VVG a.F.

BGH bestätigt "ewiges" Widerspruchsrecht für Lebensversicherungsverträge der Jahre 1994 bis 2007 bei fehlerhafter Widerspruchsbelehrung
(BGH, Urt. v. 07.05.2014, Az. IV ZR 76/11)

Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 07.05.2014 grundlegend über die Frage des Widerspruchsrechts eines Versicherungsnehmers von Lebensversicherungsverträgen entschieden, der über sein Widerspruchsrecht zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht ordnungsgemäß belehrt wurde.

Die Fallkonstellation betrifft sogenannte Altverträge, also diejenigen Lebensversicherungsverträge, die zwischen 1994 und 2007 abgeschlossen wurden und für die folglich die Widerspruchsregeln des § 5a VVG a.F. galten.

Der BGH selbst hatte die Frage, ob auch im Fall einer nicht ordnungsgemäßen Belehrung über das Widerspruchsrecht dieses spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt, oder aber ob die entsprechende Vorschrift des § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. europarechtswidrig ist, zuvor dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt.

Nach entsprechender Beantwortung durch den EuGH bestätigte somit auch der Bundesgerichtshof mit seiner Entscheidung die Unwirksamkeit der Ausschlussfrist und damit die Möglichkeit, dem Abschluss des Lebensversicherungsvertrages auch nach Ablauf eines Jahres, mithin also „ewig“ widersprechen zu können. Diese Entscheidung von EuGH und BGH ist letztlich in der Konsequenz der Verbraucherschutzrechtsprechung zu sehen, wie sie bereits seit mehr als zehn Jahren im Kreditvertragsrecht etabliert ist.

Praxistipp:

Freilich sind durch diese Entscheidung noch nicht alle Einzelfragen einer Abwicklung des auch noch nach Jahren erklärten Widerspruchs geklärt, so etwa ob tatsächlich alle gezahlten Prämien dem Versicherungsnehmer zurückzuerstatten sind.

Angesichts der zunehmend verfallenden Rentabilität der Lebensversicherung infolge des absinkenden Zinsniveaus und vor dem Hintergrund jüngst durch den Gesetzgeber beschlossener Hilfsmaßnahmen für die Lebensversicherer mag es sich im Einzelfall jedoch lohnen, die Widerspruchsmöglichkeiten des eigenen Lebensversicherungsvertrages zu prüfen.

Wichtig zu beachten ist hierbei jedoch zunächst, dass überhaupt nur solche Verträge infrage kommen, die nach altem Recht zwischen 1994 und 2007 geschlossen wurden und dass es zudem stets einer fehlerhaften Widerspruchsbelehrung bedarf, um auch heute noch widersprechen zu können. Ob ein „ewiges“ Widerspruchsrecht auch für Verträge dieser Zeitspanne (sog. „Policenmodell“) besteht, wenn die Widerspruchsbelehrung ordnungsgemäß ausgefallen ist, ist bislang nicht abschließend von EuGH und BGH entschieden. Hier bleibt es spannend.

Leitsätze:

1. § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ist unter Beachtung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (C-209/12) richtlinienkonform einschränkend auszulegen.

2. Danach enthält § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. eine planwidrige Regelungslücke, die richtlinienkonform dergestalt zu schließen ist, dass die Vorschrift im Bereich der Lebens- und Rentenversicherung und der Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung nicht anwendbar ist, aber auf die übrigen Versicherungsarten uneingeschränkt Anwendung findet.

3. Im Falle der Unanwendbarkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. besteht das Widerspruchsrecht des Versicherungsnehmers, der nicht ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt worden ist und/oder die Versicherungsbedingungen oder eine Verbraucherinformation nicht erhalten hat, grundsätzlich fort.

4. Ist der Versicherungsvertrag infolge eines rechtzeitigen Widerspruchs nicht wirksam zustande gekommen, ist bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung der erlangte Versicherungsschutz zu berücksichtigen.

Aus den Gründen:

[…]

[16] Hier kann dahinstehen, ob das Policenmodell als solches mit den genannten Richtlinien unvereinbar ist und ob sich ein Versicherungsnehmer, der ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt worden ist und die Versicherungsbedingungen sowie eine Verbraucherinformation erhalten hat, darauf nach Durchführung des Vertrages berufen könnte. Jedenfalls wurde die 14-tägige Widerspruchsfrist gegenüber dem Kläger nicht in Lauf gesetzt. Nach den für das Revisionsverfahren bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts belehrte die Beklagte den Kläger auch im Zuge der Annahme des Antrags und Übersendung des Versicherungsscheins nicht in drucktechnisch deutlicher Form i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über sein Widerspruchsrecht.

[21] Die Regelung ist aber richtlinienkonform teleologisch dergestalt zu reduzieren, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung […] grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn der Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß über sein Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat. Hingegen ist § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. - innerhalb seiner zeitlichen Geltungsdauer - für alle Versicherungsarten außerhalb des Bereichs der Richtlinien unverändert anwendbar.

[41] Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechtswidrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind […] nicht […] auf eine Wirkung ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken.

[45] Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch des Klägers […] nicht uneingeschränkt alle Prämien, die er […] gezahlt hat, ohne hierzu durch einen wirksamen Versicherungsvertrag verpflichtet zu sein. […] Eine einschränkungslose Ausgestaltung des Widerspruchsrechts auch auf der Rechtsfolgenseite wäre nicht sachgerecht. Der Versicherungsnehmer hat während der Prämienzahlung Versicherungsschutz genossen. […] Daher muss sich der Kläger im Rahmen der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den Versicherungsschutz anrechnen lassen, den er jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossen hat. […] Der Wert des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen.